V. Der Schienbeinschützer
Die Geschichte des Schienbeinschützers begann in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, als erstmals die im Cricket verbreiteten Schutzschilder auch beim Fußball als Beinschutz verwendet wurden. Die hierdurch erheblich reduzierte Bewegungsfreiheit war allerdings mit der stetig zunehmenden Geschwindigkeit des Fußballsspiels schwer vereinbar, so dass es üblich wurde, den Beinschutz auf die empfindlichsten Stellen des Vorderbeins, vor allem auf das Schienbein, zu begrenzen. Viele Spieler verzichteten noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts ganz auf den Beinschutz, um kein zusätzliches Gewicht mit sich herumtragen zu müssen und um die häufig durch die sehr enge Schnürung der Schienbeinschoner an den Waden hervorgerufenen Krämpfe zu vermeiden.
Die Regeln des Spiels schreiben zur Vermeidung von Verletzungen mittlerweile das Tragen von Schienbeinschützern vor. Um den Bedürfnissen der Spieler gerecht zu werden, ist es somit offensichtlich, dass bei der Entwicklung des Schienbeinschützers neben der stetigen Verbesserung seiner eigentlichen Schutzfunktion ein besonderes Augenmerk vor allem seiner möglichst flexiblen Befestigung unter Wahrung der Beinfreiheit und natürlich der Reduktion seines Gewichts galt.
V.1 Entwicklung stoßdämpfender Materialien
Die wesentliche Funktion der Schienbeinschützer besteht darin, lokale Stöße über eine größere Fläche zu verteilen, womit die an der unmittelbaren Stelle des Schlags oder Tritts wirkende Kraft verringert wird. Dies wurde in der Frühzeit wie im obigen Beispiel einfach mit Metall-, Holz- oder Lederplatten erreicht, die am Bein befestigt wurden. Zur Polsterung der Beine wurde auch sehr bald vorgeschlagen, das Schutzschild des Schienbeinschützers mit einer elastischen Einlage zu versehen, die am Schienbein festgezogen wird, wodurch sich ein Hohlraum zwischen dem steifen Schutzschild und dem Bein ausbildet (DE 458 365).
Schienbeinschützer werden ca. seit Mitte der 1950er Jahren bis heute häufig aus harten thermoplastischen Kunststoffschalen gefertigt, die oft auf der inneren, zum Bein hin gewandten Seite eine weiche Gewebe- oder Schaumstoffbeschichtung als Polster tragen, die dabei auch eine antimikrobielle Funktion haben können. Gegebenenfalls können die Schale und das Polster mit einem Klettverschluss zusammengefügt werden.
Das innere Beschichtungsmaterial des Schienbeinschützers besitzt meist selbst ebenfalls gute schockabsorbierende Eigenschaften. Unterstützend wird hierbei auch bis heute noch die besondere stoßdämpfende Wirkung von Luftpolstern entweder zwischen der äußeren harten Schale und einer inneren weichen Einlage oder von besonders ausgeprägten Lufteinlagerungen in der Schaumstoffbeschichtung ausgenutzt. Noch in einem Beispiel aus dem Jahr 1995 wird auf dieses Konzept zurückgegriffen (DE 295 00 630). Daneben stellen Schienbeinschützer mit einer wabenartigen, luftgefüllten Kunststoffeinlage und speziell angefertigte Schutzstrümpfe mit aufblasbaren Luftkammern interessante Varianten solcher Luftpolster dar.
Abb. 1: Schienbeinschützer mit Prallschild (11) und aus mehreren Faserlagen bestehender Dämpfungsschicht (12) (nach DE 93 12 305 U1)
Die Verwendung künstlicher, viskoelastischer Werkstoffe für die schockabsorbierenden, inneren Dämpfungsschichten ist mittlerweile weit verbreitet. Meist handelt es sich heutzutage um komplexe schicht- oder schaumartige Verbundstoffe. So besteht der in Abbildung 1 gezeigte Schienbeinschützer der DE 93 12 305 U1 aus einem Prallschild (11) und einer Dämpfungsschicht (12), die aus zwei Deckfaserlagen (15,16) und einer senkrecht dazu angeordneten Monofilfaser (17) besteht. Hierdurch wird eine optimale Beweglichkeit des Prallschildes bei Scherbelastung ermöglicht.
Mittlerweile sind auch die Schutzschilder nicht mehr nur aus einer einfachen Hartplastikmasse geformt, sondern weisen ebenfalls oft einen komplexen mehrschichtigen Aufbau aus strukturierten Materialien mit guten Dämpfungseigenschaften auf (Abbildung 2).
Beliebte Materialien sind vor allem Polymere auf der Basis von Ethylen-vinylacetat-Copolymeren (EVA), wie sie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt wurden und auch zur Abfederung von Schuhsohlen verwendet werden, und Materialien, die sich unter der Einwirkung von Stößen und Scherkräften versteifen (sogenannte rheopexe oder dilatante Materialien), wie zum Beispiel viskose Mischungen aus Polyborsiloxanen und Schmiermitteln, die zuvor unter anderem bereits in Fahrradsatteln Verwendung gefunden hatten.
Abb. 2: Schutzschild aus mehreren Kunststofflagen (4), die aus luftgefüllten Taschen (5) bestehen (nach DE 27 03 538 U)
Auch der Einlagerung von Lufteinschlüssen kommt hier eine besondere Bedeutung zu, da sich dadurch ausgezeichnete Dämpfungseigenschaften realisieren lassen, insbesondere dann, wenn eine definierte Strukturierung des Materials erreicht werden kann, wie dies bei modernen Kunststoffen der Fall ist.
Die Verwendung von Kunststoffmaterialien ermöglicht es hierbei auch, den Schienbeinschützern eine perfekte Passform an das Bein des Spielers zu geben. Hierzu können aus Kunstharz gebildete Schutzschalen vor ihrer Aushärtung während der Fertigung des Schienbeinschützers individuell an das Bein des Spielers angepasst werden. Alternativ gelingt die (einmalige) nachträgliche Anpassung eines bereits fertig hergestellten Schienbeinschützers durch das Einweben von Materialien, die sich unter dem Einfluss von Wärme irreversibel verformen.
Es wurde gelegentlich auch versucht, ganz auf harte Schutzelemente zu verzichten und ähnlich wie bei den in vielen Sportarten weit verbreiteten Knie- und Ellbogenschützern auch bei Schienbeinschützern lediglich eine Schaumstoffpolsterplatte in eine verstärktes Kunststoffgewebe einzuarbeiten. Obwohl diese Variante eine besonders hohe Bewegungsfreiheit bietet, hat sie sich als Schienbeinschutz nicht durchgesetzt.
Zuletzt wurde auch vorgeschlagen, ein gasunterstütztes Pufferkissen mit einseitig offenen Röhrchen als Dämmmaterial zu verwenden (DE 10 2010 007 528 A1), das auch für Torwarthandschuhe geeignet wäre.
Spieler, die im Eifer des Gefechts kräftig auf die Knochen bekommen haben, würden sich vielleicht über die Schienbeinschoner mit austauschbarer, wiederverwendbarer Einlage freuen (US 2013/0 218 105 A1).
Eine schützende Aufprallschale aus zwei Teilen, die gelenkig miteinander verbunden sind, sieht Schienbeinschoner US 2014/0 259 324 A1 vor.
Publikationsnummer | Jahr | Titel | Kurzbeschreibung |
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US 2014/0 259 324 A1 | 2014 | Articulated protective apparatus | Zweiteiliger Schienbeinschoner |
US 2013/0 218 105 A1 | 2013 | Reusable rash preventing shin guard System | massiver Schienbeinschoner mit wechselbarem Innenteil |
DE 10 2010 007528 A1.pdf | 2011 | Gasunterstütztes Pufferkissen | kann zur Polsterung von Schienbeinschonern oder Torwarthandschuhen dienen |
Publikationsnummer | Jahr | Titel | Kurzbeschreibung |
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WO 2007/036751 A2 | 2007 | Protective Lower Leg Garment | Schienbeinschützer mit eingewebtem thermisch sensitivem Material, das sich unter dem Einfluß von Wärme irreversibel verformt |
US 6,701,529 B1 | 2004 | Smart Padding System Utilizing an Energy Absorbent Medium and Articles Made Therefrom | Rheopexes stoßdämpfendes Material aus Polyborsiloxanen und Schmiermitteln, das sich unter dem Einfluss von Stößen und Scherungen versteift |
DE 100 10 182 A1 | 2000 | Viskose Kunststoffzusammensetzung | Weiterentwicklung der stoßdämpfenden Ethylen-Vinylacetat-Materialien |
JP 2001-070 495 AA | 1999 | Antimicrobial Shin Protector | Schienbeinschützer aus harter Polyethylenschale und weicher innerer Gewebebeschichtung mit antimikrobiellen Eigenschaften |
DE 295 00 630 U1 | 1995 | Polstereinrichtung zum Schutz von Körperteilen bei Kollisionen | Stutzenförmiger Schienbeinschützer mit Schutzplatten oder rippenförmigen Schutzelementen, die in ihrem Innern ein Luftpolster zur Stoßdämpfung besitzen (vgl. US 5,671,478 A) |
US 5,544,663 A | 1995 | Front-to-back and side-to-side custom-molded protective device | Individuelle Anpassung eines mehrschichtigen Schienbeinschützers aus einer harten Außenschale, einer flexiblen Innenschale und einer formgebenden mittleren Kunstharzschicht |
DE 93 12 308 U1 | 1993 | Körperschützer, insbesondere Schienbeinschützer für Sportler | Stutzenförmiger Schienbeinschützer mit einem Prallschild und einer aus wabenartigen, luftgefüllten Stoßdämpfungsschicht |
DE 93 12 305 U1 | 1993 | Körperschützer, insbesondere Schienbeinschützer für Sportler | Stutzenförmiger Schienbeinschützer mit einem Prallschild und einer aus mehreren Faserschichten aufgebauten Stoßdämpfungsschicht |
DE 41 20 135 A1 | 1991 | Körperschützer, insbesondere Schienbeinschützer für Sportler | Schienbeinschützer mit einem mehrschichtigen Schlagschutzschild aus Faserverbundmaterialien |
US 5,274,846 A | 1991 | Cushion Having Multilayered Closed Cell Structure | Mehrschichtige Materialien mit definiert strukturierten Luftpolstern zur Stoßdämpfung |
FR 2 600 900 B1 | 1991 | Dispositif de protection et/ou de maintien d'une partie d'un corps humain ou animal, notamment les jambes d'un joueur de football, et procede de realisation d'un tel dispositif | Verfahren zur individuelle Anpassung der Schienbeinschützer, bei dem die Schutzschalen aus Kunstharz gefertigt und unmittelbar am Bein des Spielers ausgehärtet werden |
DE 83 23 979 U1 | 1983 | Knie-, Ellenbogen-, Knöchel- oder Schienbeinschützer für Sportler | Schienbeinschützer, der auf harte Schutzplatten verzichtet und nur aus weichen Gewebepolstern aufgebaut ist |
DE 32 25 355 A1 | 1982 | Gliedmassenschutz für Sportler, insbesondere Schienbeinschützer | Zweiteiliger Schienbeinschützer aus einem eng am Körper anliegenden Polster und einer formsteifen Schale, die über einen Klettverschluss an der Schale befestigt wird. Ein seitlicher Versetzungsspielraum erlaubt die individuelle Anpassung des Schienbeinschützers |
DD 148 441 | 1980 | Schienbeinschutz aus Polyolefinschaum | Verwendung von Ethylenvinylacetat-Copolymeren (EVA) als stoßdämpfende Materialien in Schienbeinschützern |
DE 27 03 538 | 1977 | Körperschützer | Schienbeinschützer mit Schutzpolster, das aus mehreren Schichten luftgefüllter Taschen besteht |
DE 7638546 | 1976 | Verletzungsschutz für Sportler, insbesondere Schienbeinschützer | Schienbeinschützer aus zwei miteinander verbundenen Kunststoffschichten, von denen die äußere eine harte Schutzplatte darstellt und die innere ein weiches Innenpolster ausbildet |
DE-OS 21 64 472 | 1971 | Beinschutz für Sportler | Strumpfartiger Schienbeinschützer mit aufblasbaren Kammern |
DE-GM 1 899 803 | 1964 | Schienbein-Schutzvorrichtung | Schienbeinschützer aus PVC mit innerer Schaumstoffbeschichtung |
DE-GM 1 843 552 | 1961 | Schienbeinschützer für Ballspiele | Schienbeinschützer aus einer Hartplatte und zwei weichen leistenförmigen Schutzpolstern |
GB 720,140 A | 1952 | Improvements in or relating to Shinguards | Zwischen zwei harten Schutzplatten unterschiedlicher Krümmung ist ein schockabsorbierendes Material eingebracht |
DE-PS 458 365 | 1925 | Schienbeinschützer für Sportzwecke | Schienbeinschützer mit einem äußeren gekrümmten Stahlschild und einer inneren elastischen Gummieinlage zwischen denen sich bei fester Schnürung ein luftgefüllter Hohlraum ausbildet, so dass das Schutzschild vom Bein entfernt gehalten wird |