Der Fußballschuh
IV.2 Die Entwicklung flacher Fußballschuhe
IV.2.1 Erste Konzepte zur Reduzierung des Schuhgewichts und zur Erhöhung der Bewegungsfreiheit des Fußes
In Westeuropa, vor allem in England, wurde noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts an der robusten, stiefelartigen Schuhform festgehalten. Dies lag wohl vor allem daran, dass bei den witterungsbedingt oft widrigen Platzverhältnissen und bei dem Spiel mit von Regenwasser durchtränkten, schweren Lederbällen die Verwendung von standfestem und stabilem Schuhwerk meist unerlässlich war. Im Gegensatz dazu konnte in den südlichen Ländern, vor allem in Südamerika, mit wesentlich leichteren Schuhen gespielt werden. Entsprechend entwickelte sich dort auch ein wesentlich schnelleres, athletischeres und technisch ausgefeilteres Spiel.
In der deutschen Patentliteratur der 1920er Jahre findet sich dabei zwar immerhin ein Vorschlag für einen extrem leichten, sandalenartigen Fußballschuh (Abbildung 2). Dieser konnte sich jedoch aufgrund der Wetterproblematik und der extremen Verletzungsgefahr des weitgehend entblößten Fußes verständlicherweise nicht durchsetzen. Mit dem Wegnehmen eines Teils des Oberleders oberhalb der Schnürung am oberen Spann und einem Ausschnitt im Fersenbereich bis unter den Knöchel konnte aber wenigstens für eine freiere Beweglichkeit des Fußes und ein verbessertes Ballgefühl gesorgt werden (Abbildung 3).
Die meisten europäischen Patente aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg widmen sich aber weiterhin vor allem der Verbesserung der Standfestigkeit und der Stabilität der Sohle (vgl. Abschnitt 3), ohne dabei von der knöchelhohen Stiefelform abzugehen.
Erst die zunehmende Internationalisierung der Fußballwettkämpfe nach dem Zweiten Weltkrieg und das immer häufigere Aufeinandertreffen der europäischen und südamerikanischen Fußballkultur zwang auch die Europäer, ihre Fußballschuhe flexibler und leichter zu gestalten.
Abb. 3: Fußballstiefel mit ausgeschnittenem Schaft zur Erhöhung der Beweglichkeit im Fersenbereich (nach DE-PS 386 726)
Die Konstruktion von Schuhen mit diesen Anforderungen stand von nun an auch in Europa im Zentrum des Interesses. Bereits zu Beginn der 1950er Jahre wurden in Deutschland auf diesem Gebiet mehrere Patente erteilt. Da ein erheblicher Teil des Schuhgewichts auf die Sohle und die schwere Vorderkappe zurückzuführen war, wurden nach und nach Maßnahmen getroffen, um auf Teile der Sohle und die schwere Vorderkappe der Schuhe verzichten zu können.
Einlegesohlen mit Druckpolstern gegen den Stollendruck oder zur Erhöhung der Fersenlage, die Verwendung leichterer Gummimaterialien für einen Zehenschutz auf der Innenseite des Schuhs, die Verwendung von federnden Einlegesohlen, um bei fester Schnürung des Schuhs eine bewegliche Lagerung des Fußes zu gewährleisten, und die Verwendung flexibler, gummiartiger Materialien für den Knöchelbereich des Schuhschafts sind typische Maßnahmen aus dieser Zeit (Abbildung 4).
Abb. 4: Verwendung flexibler Materialien für den Schuhschaft zur Erhöhung der Bewegungsfreiheit des Fußes (nach DE-PS 922573)
Publikationsnummer | Jahr | Titel | Kurzbeschreibung |
---|---|---|---|
DE-PS 922 573 | 1953 | Sport-, insbesondere Fußballstiefel | Fußballstiefel mit flexiblem, weichem Material im Knöchelbereich des Schafts für verbesserte Bewegungsfreiheit des Fußes |
DE-PS 816 511 | 1950 | Sportschuh für Fußballsport o. dgl. | Verstärkung der Schuhspitze mit Innenpolster für verbesserte Stabilität und Zehenschutz |
DE-PS 816 510 | 1949 | Sportschuh, insbesondere für Eishockey- und Fußballsport | Fußballschuh mit federnder Einlage für das Fußbett, um bei fester Schnürung eine bewegliche und nicht zu flache Lagerung des Fußes zu gewährleisten |
DE-PS 804 072 | 1949 | Fußballstiefel und Verfahren zu seiner Herstellung | Zur Gegenstabilisierung der Stollen sind Kunststoff- oder Lederplatten in die Laufsohle eingearbeitet |
DE-PS 800 365 | 1949 | Sportschuh, insbesondere Fußballschuh | Fußballschuh mit Schnürriemen, aufsteckbaren Stollen und Einlage zur Erhöhung der Fersenlage für eine verbesserte Standfestigkeit |
DE-PS 386 726 | 1922 | Fußballstiefel | Fußballstiefel mit ausgeschnittenem Schaft zur Erhöhung der Bewegungsfreiheit des Fußes |
DE-PS 376 995 | 1922 | Sportschuhwerk | Leichter, sandalenartiger Fußballschuh |
IV.2.2 Entwicklung flacher Fußballschuhe
Nach und nach wurde dabei auch zu einer flachen Schuhform übergegangen, und schon bei der Weltmeisterschaft 1954 spielte die deutsche Nationalmannschaft in Schuhen, deren oberer Rand unterhalb des Knöchels abschloss. Dieser legendäre Schuh von Adi Dassler stellte eine Weiterentwicklung des von ihm ursprünglich für die Leichtathletik entwickelten Laufschuhs dar, der für die besonderen Stabilitätsanforderungen des Fußballs angepasst, und vor allem mit wechselbaren und höhenverstellbaren Schraubstollen versehen wurde (vgl. Abschnitt 3).
Mit der flachen und zierlichen Schuhform geht aber eine beträchtliche Erhöhung der Verletzungsgefahr, vor allem im Bereich des Knöchels und der Achillesferse, aber auch am Spann und an der Fußspitze einher. Um dem zu begegnen, wurden in der Folge lokale Verstärkungen zum selektiven Schutz dieser Fußpartien in das Schuhmaterial eingearbeitet.
Durch vergleichbare Maßnahmen wurde auch versucht die Stabilität der Schuhe selbst weiter zu verbessern, meist jedoch mit unbefriedigenden Ergebnissen. Erst mit der Entwicklung wetterfester, robuster, reißfester und gleichzeitig leichter Kunststoffmaterialien, wie Kunstleder, Polyamiden wie Nylon, Polyurethanen, Polyestern in Kombination mit natürlichen Leichtmaterialien wie Viskose oder Baumwolle konnten diese Probleme weitestgehend bewältigt und leichte, bequeme, dauerhaft stabile Fußballschuhe geschaffen werden. So stellt inzwischen das Durchscheuern des "Leders" etwa seit Beginn der 1980er Jahre selbst bei längerem Gebrauch der Schuhe auf Hartplätzen praktisch kein ernsthaftes Problem mehr dar.
Abb. 5: Federelastische Spezialinnensohle zur Unterstützung des Fußes beim Schuss, die zusätzlich im Fersenbereich noch mit einem Dämpfungselement ausgestattet ist (Illustration der in der WO 02/00051 A1 beschriebenen Innensohle, Copyright: PUMA)
Die Erzeugung einer dauerhaft stabilen Verbindung von Oberteil und Sohle bedeutet zwar nach wie vor eine besondere Herausforderung an die Schuhfertigung. Die optimale Balance zwischen Schuhstabilität, Fußschutz und Schuhgewicht dürfte inzwischen aber wohl erreicht sein. Die jüngeren Weiterentwicklungen im Bereich des Oberschuhs liegen daher neben der Fertigungstechnik vor allem im Bereich der Griffigkeit der Schuhoberfläche, um eine optimale Ballbehandlung zu ermöglichen (vgl. Abschnitt 4), oder sie dienen der weiteren Verbesserung des Schuhkomforts (vgl. z.B. DE 34 41 624 zur Wärmeisolation) und der optimalen Federung des Fußes durch federelastische Einlagesohlen (Abbildung 5). Hierbei wurde das revolutionäre, zunächst als Lederersatz verwendete Polyurethan zunehmend durch bequemere, moderne viskoelastische Polymere ersetzt.
Eine neuere Entwicklung verschmilzt praktisch Stutzen und Schuh: Ein "Verbesserter Fußballschuh" (DE 102014202432 A1) verfügt über ein Schuhoberteil aus Maschenware mit funktionsangepassten Bereichen, der die Ballkontrolle fördern und die Umknickgefahr verringern soll. Besonderen Wert auf den Knöchelschutz legt auch US 2015/0101212 A1.
Der "modulare Schuh" DE 102015200523 verfügt über einen sockenartigen Außenschuh und soll besonders individuell anpassbar sein.
Bis heute wetteifern die großen Sportartikelhersteller um immer neue Optimierungsschritte in der Herstellung von Fußballschuhen. Eine Fülle neuer Patente zeigt, dass diese Bemühungen mit großem Eifer und Aufwand voran getrieben werden. Der Trend in den Schutzrechtsanmeldungen geht zur immer weiteren Gewichtsreduzierung und zur verstärkten Anwendung von Maschenware und Strickverfahren.
Publikationsnummer | Jahr | Titel | Kurzbeschreibung |
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DE 102019219742 B4 | 2019 | Mehrlagiges Oberteil für einen Schuh | gesteigerten Reibung mit einem Ball und einer verbesserten Ballkontrolle, insbesondere bei nassen Bedingungen |
DE 102018214918 B4 | 2018 | Schuhoberteil | Fußballschuhoberteil aus einer Vielzahl von verbundenen, elastischen Bändern, ohne Schnürsenkel |
DE 102016201151 B4 | 2016 | Herstellung eines individuell angepassten Sportkleidungsstücks basierend auf Sensordaten | Herstellung eines individuellen Sportschuhes |
DE 102015200523 | 2016 | Modularer Schuh | Fußballschuh sockenartigem Außenschuh und innerem Gerüst |
DE 102014202432 A1 | 2015 | Verbesserter Fußballschuh | Maschenware mit Funktionsbereichen für verbesserte Ballkontrolle |
US 2015/0101212 A1 | 2015 | Article of footwear incorporating a knitted component with an integral knit ankle cuff | Fußballschuh mit verbessertem Knöchelschutz |
WO 02/00051 A1 | 2001 | Als Zwischensohle, Innensohle oder Einlegesohle ausgebildete Sohle für einen Schuh und Schuh mit einer derartigen Sohle | Biegsame federelastische Einlagesohle |
DE 39 24 360 A1 | 1989 | Sportschuh, insbesondere Fußballschuh | Fußballschuh mit einem in den Fersenbereich der Sohle eingearbeiteten elastischen Dämpfungselement |
DE 38 32 743 A1 | 1988 | Laufsohle mit dämpfender Zwischensohle | Kompressible, stoßdämpfende Einlagesohle mit "Röhrensystem" |
DE 34 41 624 A1 | 1984 | Sportschuh | Fußballschuh mit innenseitiger Wärmereflexionsschicht für Spiele im Winter |
DE 27 11 579 A1 | 1977 | Material mit lederähnlichen Eigenschaften und Verfahren zu seiner Herstellung | Lederähnliches Material auf Polyurethanbasis mit porösen, wasserdichten, aber wasserdampfdurchlässigen Eigenschaften |
DE-PS 2 107 447 | 1971 | Sportschuh mit angespritzter Laufsohle | Herstellung angespritzter Laufsohlen aus besonderem Kunststoffmaterial auf Polyamidbasis, mit dem die Form der Sohle beim Erstarren erhalten bleibt |
DE-GM 1 886 440 | 1963 | Sportschuh | Fußballschuh mit einer mit Nylon überzogenen Lasche zum Abdecken der Schnüröffnung, die ein zusätzliches Polstermittelstück als Fußschutz aufweist |
DE-GM 1 868 954 | 1959 | Sportschuh | Flacher Fußballschuh mit über dem Vorderschuh angebrachter Schutzkappe |
DE-GM 1 797 088 | 1959 | Fußballschuh | Flacher Fußballschuh mit an der Schuhspitze angebrachter Nylonkappe |
DE-GM 1 794 640 | 1959 | Sportschuh, insbesondere Rennschuh oder Fußballstiefel | Flacher Fußballschuh mit Schlupflappen im Fersenbereich, der zum Schutz der Achillessehne eine Filz- oder Schaumstoffauflage aufweist |
DE-PS 928 996 | 1952 | Fußballstiefel | Fußballhalbstiefel mit Korkverstärkungen im Vorderteil und seitlich verlängerten Lappen im Knöchelbereich zum Schutz des Fußes vor Stößen |
DE-PS 922 572 | 1952 | Fußballschuh | Fußballhalbstiefel mit Ristplatte aus Kork, die als Fußschutz und zur Unterstützung der Schusstechnik dient (vgl. auch Abschnitt 4.1.) |
DE-PS 816 967 | 1949 | Schuh und Verfahren zu seiner Herstellung | Herstellungsverfahren für einen Laufschuh, der einen Vorläufer des flachen Fußballschuhs darstellt |