Die Schiedsrichterausrüstung
3: Torlinientechnik und Videobeweis
Abb. 4: Ortungssystem zur zeitaufgelösten Überwachung der Position von Spielern und Ball, die mit Sendern ausgestattet sind (nach FR 2 695 042)
Seit der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien kommt die Torlinientechnik zum Einsatz. Bei der WM 2018 in Russland wird erstmals der Videobeweis angewendet. Diese beiden Neuerungen stehen nicht nur für die größten Veränderungen im Weltfußball seit Jahrzehnten, sondern sind auch in technischer Hinsicht äußerst interessant. Denn hinter ihnen stecken ein riesiges Ausmaß an Forschung, Entwicklung und zahlreiche geschützte Erfindungen.
Davor lag ein langwieriger Prozess: Schon die "Funkfahne", die eine elektronische Kommunikation zwischen Linien- und Schiedsrichter ermöglicht, hat erst ca. dreißig Jahre nach ihrer Anmeldung beim Patentamt ihren Einzug in den professionellen Fußball gefunden. Bei der Torlinientechnik ging es immerhin etwas schneller.
Das "Wembley-Tor" von 1966, das keines war, erregte (vor allem in Deutschland) jahrzehntelang die Gemüter. Als bei der WM 2010 (diesmal umgekehrt) ein klares Tor der Engländer gegen Deutschland nicht gegeben wurde, sah auch die FIFA ein, dass es an der Zeit war, die vorhandenen technischen Möglichkeiten, einem Spiel zum regelkonformen und fairen Ablauf zu verhelfen, endlich einzusetzen. Sie akzeptierte nach langen Testphasen nun mehrere Systeme, mit denen sich zweifelsfrei feststellen lässt, ob der Ball die Torlinie in vollem Umfang überschritten hat oder nicht.
Der Schiedsrichter hat es ja auch wirklich nicht leicht: Ein Ball müsste mindestens 60 Millisekunden lang hinter der Torlinie gewesen sein, damit sein menschliches Auge dies überhaupt erkennen kann. Da aber die Schussgeschwindigkeit heute teilweise bis zu 120 km/h beträgt, ist dies beispielsweise bei einem Abpraller von der Latte oft nicht der Fall - wie eben 2010 bei Frank Lampards Tor gegen Manuel Neuer, das nicht gegeben wurde. Da kann die Technik heute helfen.
Gemäß den FIFA-Regeln meldet die Torlinientechnik dem Schiedsrichter (und nur ihm!), ob der Ball die Torlinie in vollem Umfang überquert hat. Das Tor wird auf der Spezial-Uhr des Unparteiischen angezeigt. Die Information wird binnen einer Sekunde übermittelt, damit der Schiedsrichter sofort reagieren kann und das Spiel nicht unterbrochen oder anderweitig beeinträchtigt wird.
Die FIFA hat zwei Arten von Torlinientechnik zugelassen:
Kamerabasiert:
Mehrere zugelassene Technologien arbeiten mit Kameras, die den Ball orte, sowie mit einer Software, die die Bilder aller Kameras auswertet. Das System kann so ermitteln, ob der Ball die Torlinie in vollem Umfang überquert hat.
Ein Beispiel für diese Technik ist "System and method of preparing a playing surface" (US7846046B2). Unter dem Namen "Hawk Eye" kommt diese Methode u.a. im Tennis schon seit Jahren zum Einsatz.
Das System "GoalControl" der gleichnamigen deutschen Firma arbeitet mit mehreren Kameras pro Tor, die teils direkt am Tor, teils möglichst weit oben in der Stadionstruktur verankert werden. Alle sind mit einer Rechnereinheit verbunden. Das "Torerkennungssystem, und Verfahren zum Erkennen eines Tors" (WO 002014059971 A1) hat sich seit der WM in Brasilien bewährt.
Publikationsnummer | Jahr | Titel | Kurzbeschreibung |
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WO 002014059971 A1 | 2013 | Torerkennungssystem, und Verfahren zum Erkennen eines Tors | siehe Titel |
US7846046B2 | 2010 | System and method of preparing a playing surface | Unter dem Namen "Hawk Eye" bekannt gewordenes System zur Prüfung, ob ein Ball eine Linie überschritten hat |
Magnetfelder:
Andere Systeme arbeiten mit Magnetfeldern. Dazu werden im Boden und um die Tore Kabel installiert. Zudem ist der Ball mit Empfängern versehen (siehe auch "Intelligenter Ball" und "Spielanalyse"). Durch die Wechselwirkung zwischen den Empfängern im Ball und den Magnetfeldern, die durch die Kabel im Boden erzeugt werden, kann die Software die exakte Position des Balles berechnen und feststellen, ob ein Tor erzielt wurde.
Beispiele dafür sind die funkbasierten Systeme der Firmen Goalref und Cairos.
GoalRef des gleichnamigen dänischen Unternehmens basiert auf einer Entwicklung des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen IIS . Sein Prinzip: Im Tor herrscht ein Magnetfeld (WO002009046722A1), im Fußball befinden sich Spulen (WO 2013/149681 Al). Gelangt der Ball in das Tormagnetfeld, baut er mittels Induktion ein eigenes Feld auf. Das Magnetfeld des Balls wird durch die Magnetfeldänderung am Tor von den dort angebrachten Antennen erkannt. Die Auswerteeinheit liest und bewertet die Daten. Ist der Ball in vollem Umfang hinter der Linie, entsteht ein eindeutiges Signal. Das Ergebnis wird nun in Echtzeit verschlüsselt an den Schiedsrichter übertragen. Unter dem Titel "Tordetektor für die Erfassung eines durch eine Torebene gehenden Gegenstands" ließ Goalref sich das System patentieren (DE6706107T1, siehe auch EP1596945B1).
Das Unternehmen Cairos aus Karlsbad verwendet wie GoalRef eine Magnetfeldtechnologie. Seine "Vorrichtung und Verfahren zum Erzeugen eines Magnetfeldes in einem Torraum zur Torentscheidung" (DE102007009232B3) sieht u.a. je eine Spule hinter bzw. im Tor vor. Außerdem setzt es auf einen Magnetfeldsensor im Ball (DE 10 2008 052 215 B4), der ein Signal an den Schiedsrichter sendet, wenn er die Torlinie überquert hat.
Publikationsnummer | Jahr | Titel | Kurzbeschreibung |
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WO 2013/149681 A1 | 2012 | Ball for a sports game with a plurality of loop antennas | Ball mit Spulen; teil des "GoalRef"-Systems |
WO002009046722A1 | 2008 | Goal detector for detection of sn object passing a goal plane | Magnetfeld im Tor; Teil des "GoalRef"-Systems |
DE 10 2008 052 215 B4 | 2008 | Ball mit Magnetfeldsensor sowie Verfahren zur Messung | Komponente des Torerkennungssystems |
DE102007009232B3 | 2007 | Vorrichtung und Verfahren zum Erzeugen eines Magnetfeldes in einem Torraum zur Torentscheidung | siehe Titel |
DE6706107T1 | 2006 | Tordetektor für die Erfassung eines durch eine Torebene gehenden Gegenstands | siehe Titel |
EP1596945B1 | 2004 | Tordetektor für die Erfassung eines durch eine Torebene gehenden Gegenstands | siehe Titel |
Weitere Ansätze
Antennensystem zur Bestimmung des Transits eines beweglichen Objekts durch eine Erfassungsebene (US 2016/0107028 A1)
Darüber hinaus gab und gibt immer neue Ideen zu dieser Problematik:
Die Fraunhofer-Gesellschaft forschte weiter an diesem Thema und erhielt 2016 ein US-Patent für ein Antennensystem und eine Methode zur Bestimmung des Transits eines beweglichen Objekts durch eine Erfassungsebene (US 2016/0107028 A1, siehe Abbildung).
Die "Ballerkennungsvorrichtung" DE 102008059095 A1 sieht eine Art Lichtschranke zur Torerkennung vor.
Hinter der "Vorrichtung zur Erfassung, Auswertung und Anzeige von Daten" (DE102007050062A1) verbirgt sich das Prinzip eines Strahlengitters mit Reflektionselementen, das ein Tor zuverlässig erfassen soll.
Sehr aufwändig, aber u.a. wohl auch für die Überwachung von Abseitspositionen geeignet präsentiert sich die Erfindung "Überwachungsvorrichtung für ein Spielfeld" (DE102006020018A1). Sie sieht bewegliche Messstrahler am Spielfeldrand vor.
DE102005048276B3 beschreibt ein "Verfahren zur Verfolgung eines Spielelements, z. B. eines Balles oder eines Pucks auf einem Spielfeld" mittels gekoppelter Kameras, die bestimmte Sektoren überwachen.
Ein "Trackingsystem" beschreibt EP 1 666 916 A2: Es sieht die Funkortung des Balles zur Unterstützung des Schiedsrichters vor, u. a. bei Torentscheidungen. Auch die Spieler können geortet werden.
Außerdem gibt es Ansätze zur Fußballortung mittels Ultraschall (US 2007/0216576 A1, "Ultrasonic Football Linesman").
EP 2 375 267 A1 beschreibt ein Trackingsystem, bei dem nicht nur der Ball, sondern auch die Spieler mit GNSS (GPS)-Empfängern zur genauen Positionsbestimmung untereinander vernetzt sind.
Publikationsnummer | Jahr | Titel | Kurzbeschreibung |
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US 2016/0107028 A1 | 2016 | Antenna system and method for determining a transit of a movable object through a detection plane | Torerkennungssystem |
EP 2 375 267 A1 | 2010 | Lokales GNSS-Trackingsystem und -verfahren | System zur Erfassung von Ball und Spielern |
DE 102008059095 A1 | 2008 | Ballerkennungsvorrichtung | nach Lichtschranken-Prinzip |
DE102007050062A1 | 2007 | Vorrichtung zur Erfassung, Auswertung und Anzeige von Daten | Torerkennung mittels Strahlengitter und Reflektionselementen |
DE102006020018A1 | 2006 | Überwachungsvorrichtung für ein Spielfeld | siehe Titel |
US 2007/0216576 A1 | 2006 | Ultrasonic Football Linesman | Ortung mittels Ultraschall |
DE102005048276B3 | 2005 | Verfahren zur Verfolgung eines Spielelements, z. B. eines Balles oder eines Pucks auf einem Spielfeld sowie eine Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens | siehe Titel |
EP 1 666 916 A2 | 2005 | Tracking-System | Funkortung des Balles |
Videobeweis
Bei der Fußballweltmeisterschaft 2018 in Russland wird erstmal der Videobeweis bei einem großen Turnier eingesetzt werden. Der Veranstalter, die FIFA, spricht von einem Video Assistant Referee (VAR).
Das VAR-Team besteht aus professionellen Schiedsrichtern und ist während der WM in Moskau stationiert. Dort hat es bei allen Spielen Zugriff auf 33 Übertragungskameras, acht davon Superzeitlupen- und vier Ultrazeitlupenkameras. Darüber hinaus stehen ihm laut FIFA zwei Abseitskameras zur Verfügung, auf die nur das VAR-Team Zugriff hat.
Vier Replay-Operatoren wählen die besten Kamerawinkel aus und stellen diese dem VAR-Team zur Verfügung. Während eines Spiels achtet das VAR-Team fortwährend auf klare und offensichtliche Fehlentscheidungen bei spielentscheidenden Situationen. Nur dann oder bei schwerwiegenden Vorfällen, die übersehen wurden, kommuniziert der VAR über mit dem Schiedsrichter auf dem Platz.
In Zukunft werden Entwicklungen wie beispielsweise "Vorrichtung, Methode und Programm zur Bildverarbeitung" (EP3300022A1) diese Technik weiter vorantreiben. Es beschreibt ein Bildbearbeitungsverfahren, mit dem sich der Bereich eines Vordergrundobjekts mit hoher Genauigkeit extrahieren lässt. Es arbeitet mit einer komplexen Verknüpfung von Einheiten für Ziel- bzw. Referenzbildaufnahme, Konvertierung und Extraktion.
Derzeit muss der Schiedsrichter noch das Spielfeld verlassen, wenn er den Video Assistant Referee nutzen will, da die Monitore an der Bande aufgestellt sind. Das möchte WO002017/221078A2 ändern und schlägt vor, dass das Videobild künftig zum Schiedsrichter kommt. Und zwar entweder in Form eines mobilen Roboters oder einer fliegenden Drohen, jeweils mit installiertem Bildschirm, auf dem die strittige Spielszene abgespielt werden kann.
Publikationsnummer | Jahr | Titel | Kurzbeschreibung |
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EP3300022A1 | 2017 | Vorrichtung, Methode und Programm zur Bildverarbeitung | siehe Titel |
WO002017/221078A2 | 2017 | Portable referee monitor | Mobile Monitore für den Schiedsrichter bei Einsatz des Videobeweises |
Kameras im Stadion
Zur Installation von Kameras im Stadion und zu ihrer Steuerung gibt es immer wieder neue Ideen. Einige Beispiele wollen wir hier nennen:
DE 202016005415 U1 beschreibt ein Kamerabefestigungssystem für Sportplatz-Flutlichtmasten zur mobilen Videoaufzeichnung von Fußballspielen aus erhöhter Position (ähnlich auch DE 202017004719 U1).
Das "Video-Überwachungssystem" DE 102006012239 A1 dient zur Kameraführung z.B. bei Fußball-Übertragungen.
Ähnlich ist das "Tracking system using proximity and/or presence" (US 020110205077 A1) zur Unterstützung der Kamerasteuerung.
DE 202017005123 U1 sieht vor, dass die Darstellung auf dem Bandendisplay der Spielsituation angepasst wird. Die Spielsituation wird mittels Kameras erfasst, über welche die Position der Spieler ermittelt werden kann. Aus den berechneten Positionen wird die Spielsituation erkannt, die die Einstellung der Kameras und die Darstellung auf dem Bannerdisplay beeinflusst.
Vielleicht steckt hierin großes Potenzial für situativ passende Bandenwerbung: Schmerzmittel oder Pflaster bei Fouls, Brillen-Reklame bei Schiedsrichter-Fehlentscheidungen, Flug-Reklame bei Schwalben, Hochprozentiges (als Zielwasser) bei Strafstößen...
Publikationsnummer | Jahr | Titel | Kurzbeschreibung |
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DE 202016005415 U1 | 2016 | Kamerabefestigungssystem für Sportplatz-Flutlichtmasten zur mobilen Videoaufzeichnung | siehe Titel |
DE 202017004719 U1 | 2017 | Mobiles Kamerabefestigungssystem für Anbringung an Sportplatz-Fangzäunen oder Flutlichtmasten | siehe Titel |
DE 102006012239 A1 | 2006 | Video-Überwachungssystem | Kamerasteuerungssystem |
US 020110205077 A1 | 2010 | Tracking system using proximity and/or presence | Kamerasteuerungssystem |
DE 202017005123 U1 | 2017 | Positionserfassungssystem oder Kamerasystem für eine Spielstätte, insbesondere Fußballstadion | siehe Titel |
Schiedsrichter-Kontrolle
Auch der Schiedsrichter selbst kann heute genau überwacht werden. Kürzlich wurde eine Entwicklung zum Patent angemeldet, die mittels "Blickdaten" die Handlungen des Schiedsrichters analysieren und interpretieren will (US020170364753A1). Die Entwicklung sieht vor, Key Performance Indikatoren (KPI) zu identifizieren und während des Spiels entsprechende Daten zu sammeln, um zu beurteilen, ob die vom Schiedsrichter getroffenen Entscheidungen korrekt sind. Das System soll sogar die Wahrscheinlichkeit beurteilen können, ob möglicherweise eine Voreingenommenheit bzw. Befangenheit des Schiedsrichters vorliegt und seine Entscheidungen beeinflusst. Die KPI-Daten können über mehrere Spiele hinweg gesammelt werden, um ein Verläßlichkeits-Profil für den Schiedsrichter zu erstellen.
Hilfreich bei der Beurteilung von Schiedsrichterleistungen können auch Entwicklungen wie US020180039825A1 sein. Es handelt sich dabei um ein Wiedergabesegment-Extraktionsverfahren, das in einem Video jedes Eingreifen des Schiedsrichter automatisch erkennt und das entsprechende Spielsegment aus dem Film extrahiert, was die nachträgliche Beurteilung der Schiedsrichterleistung erleichtern sollte.
Publikationsnummer | Jahr | Titel | Kurzbeschreibung |
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US020170364753A1 | 2016 | Analyzing and Interpreting a Referee's Actions Using Gaze Data | Blickdatenanalyse zur Schiedsrichterkontrolle |
US020180039825A1 | 2015 | Play segment extraction method and play segment extraction device | Erkennt Eingreifen des Schiedsrichters automatisch und stellte diese Sequenzen zur Analyse zusammen |