Fußball und Technik

Deutsches Patent- und Markenamt

 

Kunststoffe

Kunstseide, Kunstleder und Schaumstoff: Wie künstliche Materialien Naturstoffe ersetzten - und übertrafen

Die Natur bietet zahlreiche Materialien mit besonderen Eigenschaften, wie z.B. Leder, Glas, Wolle, Metall, Holz, die im täglichen Leben Verwendung finden, meist in einer auf die jeweilige Anwendung angepassten Verarbeitungsform.

So auch im Fußballsport: Für lange Zeit waren Bälle und Schuhe aus Leder gefertigt, Baumwollkleidung war üblich, die Trillerpfeife bestand aus Metall, die Torpfosten aus Holz und gespielt wurde auf Gras. Heutzutage sind all diese natürlichen Materialien entweder vollständig durch Kunststoffe ersetzt worden oder es sind zumindest alternative, auf Kunststoff basierende Möglichkeiten entwickelt worden, die unter bestimmten Voraussetzungen genutzt werden, wie z.B. der Kunstrasen, der wesentlich pflegeleichter ist als ein natürlicher Rasen.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren bereits einige künstliche Materialien gezielt als Alternativen für bestimmte Naturprodukte entwickelt worden, deren Rohstoffe nicht problemlos in großen Mengen zur Verfügung standen, z.B. weil sie aus fernen Ländern stammten oder von tierischer Herkunft waren. Ein weit verbreitetes Material war zur Jahrhunderwende ein aus Casein und Formaldehyd hergestelltes Kunsthorn (das Galalith), das als kostengünstiger Ersatz für tierisches Horn oder Elfenbein z.B. zur Fertigung von Knöpfen Verwendung fand. Ein weiteres populäres Beispiel aus dieser Zeit ist synthetischer Kautschuk.

Chemisch betrachtet handelt es sich bei den meisten Kunststoffen um sogenannte "organische Polymere", deren Moleküle sehr lange Ketten eines oder mehrerer verschiedener Grundbausteine (im Fachjargon "Monomere" genannt) darstellen. In einem Polymermolekül sind typischerweise zwischen tausend und einer Million solcher Monomere in sich ständig wiederholender Weise miteinander verbunden (vgl. Figur 1). In einem fertigen Werkstück des Kunststoffs liegen wiederum Millionen solcher Polymerketten ineinander verschlungen oder miteinander vernetzt vor.

Polymermoleküle sind wie Perlenketten aus vielen, miteinander verknüpften Bausteinen, den Monomeren, aufgebautLupeFigur 1: Polymermoleküle sind wie Perlenketten aus vielen, miteinander verknüpften Bausteinen, den Monomeren, aufgebaut


Die chemische Struktur der "Monomere" bestimmt die grundlegenden chemischen und physikalischen Eigenschaften des Kunststoffs. Sie macht ihn z.B. wasserlöslich oder wasserabweisend, kratzfest oder gibt ihm faserbildende Eigenschaften. Die Anordnung der aus den Monomeren aufgebauten Polymerketten im fertigen Werkstück bestimmt darüber hinaus die Verarbeitbarkeit, Elastizität oder Bruchfestigkeit des Materials.

Die technischen Eigenschaften von Kunststoffen lassen sich durch die Wahl des Monomers und den Herstellungs- und Verarbeitungsprozess oder auch den Zusatz von Additiven (wie Pigmenten oder Weichmachern) so in weiten Grenzen variieren und einstellen. Dies ermöglicht nicht nur das Kopieren der Eigenschaften natürlicher Materialien, sondern auch das gezielte Verbessern oder Anpassen im Hinblick auf besondere Anforderungen.

Eine besonders vielseitig verwendbare und kostengünstige Klasse von Kunststoffen sind die Polyamide.

Je nach Ausgangsmaterial werden zwei verschiedene Typen von Polyamiden gebildet: Der so genannte "Perlontyp" entsteht aus Aminocarbonsäuren, der "Nylontyp" aus Dicarbonsäuren und Diaminen (vgl. Figur 2).

Die Herstellung von Polyamiden erfolgt in mehreren Schritten, entweder ausgehend von einem Monomer: Aminocarbonsäure (LupeFigur 2: Die Herstellung von Polyamiden erfolgt in mehreren Schritten, entweder ausgehend von einem Monomer: Aminocarbonsäure ("Perlon" bzw. "Nylon-n"), oder aus zwei Monomeren: Dicarbonsäure und Diamine ("Nylon" bzw. "Nylon-m,n")


Mitte der 1930er Jahre wurden von einem Forscherteam der US-amerikanischen Firma DuPont unter Leitung von Wallace H. Carothers in den USA die ersten Nylonfasern entwickelt (US 2,130,948), die als künstlicher Ersatz für Naturseide dienten. In Deutschland wurden kurz darauf von der I.G.-Farbenindustrie AG die strukturell ähnlichen, das "Nylonpatent" nicht verletzenden Polyamide vom Perlontyp eingeführt (für die sich inzwischen aber ebenfalls die Bezeichnung Nylon durchgesetzt hat). Innerhalb weniger Jahre wurde Polyamid dank seiner seidigen Beschaffenheit, seiner Feinheit und seiner kristallenen Transparenz zum meistgefragten Material bei der Strumpfherstellung.

Die meisten technisch genutzten Polyamide zeichnen sich durch eine hohe Festigkeit, Steifigkeit und Zähigkeit aus, besitzen eine gute Chemikalienbeständigkeit und Verarbeitbarkeit. Diese Eigenschaften beruhen zum Großteil auf den Amidgruppen der Polymerketten, die über Wasserstoffbrückenbindungen miteinander wechselwirken, was die Ausbildung größerer kristalliner Bereiche begünstigt und zu einer relativ festen Struktur führt (vgl. Figur 3). Diese Kristallinität begründet die Neigung der Polyamide zur Faserbildung. Polyamide sind aber auch als thermoplastische Werkstoffe von großer Bedeutung.

Ausbildung hochkristalliner Bereiche durch Wasserstoffbrückenbindungen zwischen benachbarten Amidgruppen sind die Ursache für die hohe Festigkeit des Materials und dessen Fähigkeit zur FaserbildungLupeFigur 3: Ausbildung hochkristalliner Bereiche durch Wasserstoffbrückenbindungen zwischen benachbarten Amidgruppen sind die Ursache für die hohe Festigkeit des Materials und dessen Fähigkeit zur Faserbildung


Kompaktes Polyamid hat einen hohen Verschleißwiderstand und gute Gleiteigenschaften. Durch Faserverbunde mit Glas- oder Kohlefasern lassen sich die mechanischen Eigenschaften weiter verbessern. Seine Mischbarkeit mit Polyethylen und Polyurethanen erlaubt zudem eine Variation der viskoelastischen Eigenschaften. Dehnbarkeit, Bruchfestigkeit etc. von Polyamid-basierten Werkstoffen können somit in einem breiten Bereich eingestellt werden und auf spezielle Anforderungen aus der Praxis zugeschnitten werden.

In Faserform findet sich Polyamid außer in Nylonstrümpfen auch in Angelschnüren, Mähfäden für Rasentrimmer, Tennissaiten, Teppichböden, Zahnbürsten oder Seilen jeder Größe (z.B. Kletterseilen). In kompakter Form dient es zur Herstellung unzerbrechlicher Haushaltsgegenstände oder von technischen Bauteilen, die sehr abriebfest sein müssen, wie Gleitlagern, Zahnrädern, Laufrollen sowie Dübeln oder Schrauben.

Der größte Teil der Polyamidproduktion wird als Synthesefaser für Textilien (u.a. Sportbekleidung) verwendet. Das im Rohzustand weiße Material lässt sich dabei vor der Verarbeitung mit Farbstoffen (z.B. Dispersions- oder Direktfarbstoffen, heutzutage auch häufig mit Reaktivfarbstoffen) einfärben.

Festigkeit, Zähigkeit und Abriebfestigkeit sind auch wesentliche Anforderungen an ein Material, dass als Sohle für einen Fußballschuh dienen soll. Eine weitere wichtige Eigenschaft von Polyamid ist, dass es - wie praktisch alle Kunststoffe - im Gegensatz zu vielen anderen Materialien wie z.B. Leder oder Metall wesentlich leichter ist. Es stellt also ein ideales Material für die Sohle eines Fußballschuhs dar und wird seit den späten 1950er Jahren bis heute dazu verwendet. Die Entwicklung einsatzfähiger Schuhe mit Polyamid-Sohle erfolgte zwischen den beiden Weltmeisterschaften 1954 und 1958. Die Figur 4 zeigt die Schuhe, mit denen Just Fontaine bei dem Turnier in Schweden 13 Tore erzielte und damit einen bis heute unerreichten Rekord aufstellte.

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13 Tore von einem Spieler bei einer einzigen WM wurden nur einmal erzielt. Im Jahr 1958 mit diesen Schuhen, deren leichte, aber noch wenig biegsame Nylonsohle nach den Belastungen des Turniers schon einige Risse aufwies.LupeFigur 4a: 13 Tore von einem Spieler bei einer einzigen WM wurden nur einmal erzielt. Im Jahr 1958 mit diesen Schuhen, deren leichte, aber noch wenig biegsame Nylonsohle nach den Belastungen des Turniers schon einige Risse aufwies.

Seitenansicht von Just Fontaines WM-SchuhLupeFigur 4b: Seitenansicht von Just Fontaines WM-Schuh

 

Im Laufe der Zeit wurden dem ursprünglich in Reinform verwendeten Nylon-6,6 zur Verbesserung der Biegeelastizität der Sohle allerdings auch flexiblere Kunststoffmaterialien verwendet oder dem Polyamid beigemischt, z.B. Polyurethan. Darüber hinaus finden sich in den modernen Schuhsohlen häufig Verstärkungen und elastische Formkörper, die die Stabilität erhöhen und der Sohle federelastische Eigenschaften verleihen (Figur 5; zu weiteren Details vgl. das Kapitel "Der Fußballschuh", Abschnitt 3.4.).

Fußballschuh mit federelastischer Polyamidsohle, die Verstärkungen und elastische Formkörper aufweist (ca. 1978)LupeFigur 5: Fußballschuh mit federelastischer Polyamidsohle, die Verstärkungen und elastische Formkörper aufweist (ca. 1978)


Polyamid stellt, häufig auch in Mischung mit anderen Kunststoffmaterialien, aufgrund der genannten Eigenschaften, die im Fußball die allgemein am weitest verbreitete Kunststoffklasse dar. Alleine im Schuh erfüllt es seiner Verwendung in gegossener Form als Laufsohle in verschiedenen Verarbeitungsformen noch weitere Funktionen. So wird es in Faserfom für Mischgewebe von Einlegesohlen oder in Folienform als dehnungsfester Überzug der Schuhspitze oder der Schuhlasche eingesetzt. Die Stabilität von Polyamidfasern macht man sich ferner in reißfesten Trikots oder abriebfesten Kunstrasenhalmen zu Nutze.

Bei der Entwicklung der Nylonfaser hatten Carothers und sein Forscherteam wohl eher industrielle oder alltägliche Anwendungen im Blick. Sie haben aber auch entscheidend dazu beigetragen, das Fußballspiel schneller und athletischer zu machen. Gerade in Regionen wie Nord- und Mitteleuropa, in denen Trikots, Schuhe oder Bälle aus den natürlichen Materialien Wolle und Leder mit Regen vollgesaugt ein Mehrfaches ihres ursprünglichen Gewichts annehmen konnten, wäre ohne die Einführung der leichteren Kunststoffartikel die Geschwindigkeit des modernen Spiels undenkbar.

Häufig vorkommende Kunststoffklassen sind in der folgenden Tabelle zusammengefasst. Weit verbreitete Anwendung im Fußballsport findet neben Polyamid heutzutage vor allem Polyurethan, welches in aufgeschäumter Form als polsterndes und stoßdämpfendes Material von Bedeutung ist, und außerdem PVC als Oberflächenmaterial in Kunstledern ersetzt hat, daneben vor allem Polyethylen, Polypropylen, Polyester und EVA, nicht selten im Verbund mit Polyamid.

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Kunststoffklassen
Polymerklasse   Besondere Eigenschaften   Verarbeitungsformen, Anwendungen   Beispiele aus dem Fußballumfeld 
Polyamid   Kristallinität; Faserbildung; hohe Abriebfestigkeit, Steifigkeit und Zähigkeit; gute Gleiteigenschaften und Chemikalienbeständigkeit   Fasern mit hoher Reißfestigkeit; Spritzgussteile mit hoher Steifigkeit, Mischgewebe, z.B. mit Polyethylen und Polyurethanen   Laufsohle des Fußballschuhs (DE 1 776 337 U1), Bestandteil von Mischgeweben in Einlegesohlen (WO 02/00051 A1), dehnungsfester Überzug und dehnungsfeste Nähte für Schuhlaschen (DE 18 864 404 U1), Mischgewebe von Fußballhüllen (EP 0598 542, DE 43 39 677); Kunstrasen (DE 1578824),  
Polyurethan   Aufschäumen durch Wasserzugabe während der Herstellung, mechanische Eigenschaften abhängig von der Wahl der Monomere, insbesondere der Polyol-Komponente; Besonderheit:   Schaumstoffe und Polstermaterialien in Spülschwämmen, Matratzen, Schuhsohlen; Lacke, Klebstoffe, Dichtstoffe; Kunstleder   biegeelastische Laufsohlen von Fußballschuhen (DE 2847152 C2), federelastische Zwischen- oder Einlegesohlen (WO 02/00051 A1), Ersatz für Baumwollfasern in Schutzpolstern und -geweben (DE 27 11 579 A1), Schienbeinschützer (DE 76 38 546 U1), Haftbeschichtungen von Torwarthandschuhen (DE 195 30 282 A1), moderne Kunstlederbälle (DE 102 55 092 A1) 
Polyester   große Kunststoff-Familie, zu denen u.a. Polycarbonate (PC) und thermoplastisches Polyethylenterephthalat (PET) gehören; große Bandbreite von Eigenschaften   Fasern und Mikrofasern für Textilien und Vliesstoffe; PET-Flaschen; Folien; Filme; hochreißfeste Materialien; Faserverbundwerkstoffe; Polyesterharze als Lacke   hochelastische Spielerbekleidung (DE 698 19 170 T2), Mischgewebe von Fußballhüllen (EP 0 598 542 A2, DE 43 39 677 A1); Polyterephthalate als feuchtigkeitsregulierende Filamentfüllung in Kunstrasen (DE 10 2004 013 749 A1) 
Polyethylen, Polypropylen   teilkristallin, wachsartig; hohe Chemikalienbeständigkeit; sehr geringe Wasseraufnahme oder Dampfdurchlässigkeit; gutes Gleitverhalten; niedrige Dichte; Erweichen bei ca. 80°C   Folien; in Blasform hergestellte Hohlkörper; Gefäße und Behälter; Zusatz in Fasern, Geweben oder Laminaten   Bestandteil von Kunststofffaser-Mischgeweben in Einlegesohlen (WO 02/00051 A1), in aufgeschäumter Form für Ellenbogen-, Knie- und Schienbein-Schutzpolster (DE 83 23 979 U1) 
Polyvinylchlorid   amorph; thermoplastisch; hart und spröde; wird erst durch Zugabe von Weichmachern und Stabilisatoren weich und formbar   Fußbodenbeläge, Rohre, Kabelisolierungen und -ummantelungen, Schallplatten, Kunstleder   frühe Kunstlederbälle (GB 733,154 A), Außenschalen von Schienbeinschützern (DE 1899803 U) 
Phenol-Formaldehyd-Harze   harte, sehr bruchfeste Materialien, schwarze bis rote Färbung   Gießkunstharze; Bindemittel für Hartfaser- und Spanplatten; Schleifscheiben; Bremsbeläge   frühes Material (ca. 1945) für den Ersatz von Metall bei Trillerpfeifen (GB 620,720 A) 
Polyethylenvinylacetat (EVA)   Copolymer aus Ethylen und Vinylacetat; zunehmende kautschukähnliche Eigenschaften mit zunehmenden VA-Anteil; hohe Wärmebeständigkeit und gute Alterungsbeständigkeit;   hochwertige Folien (Verbesserung der Bruchdehnung gegenüber reinem Polyethylen); Duschvorhänge; Schmelzklebstoffe; Schuhsohlen   stoßdämpfendes Material in Schienbeinschützern (DD 148 441 A3), Schuhinnensohlen (DE 10 2004 011 680 A1) oder Ballhüllen (DE 102 55 092 A1, US 2004/0213984 A1) 
Polytetrafluorethylen (PTFE)   teilkristallin; sehr reaktionsträge; äußerst beständig gegen Basen und Lösungsmittel; geringer Reibungskoeffizient; niedrige Benetzbarkeit   Antihaftschichten in Pfannen, witterungs- und UV-beständige Beschichtungen (z.B. bei Textilien (Goretex) oder Brillen) und Membranen, Trockenschmierstoff (analog: Füße von Computermäusen), Dichtungen   atmungsaktive und wetterfeste Sport- und Unterbekleidung (US 5,155,867 A), schmutzabweisende Beschichtungen der Innensohle (DE 10 2004 011 680 A1)